Das wachsende Nicht-Wissen

– und wie es uns spalten oder zusammenführen kann

So oft wird über „Verdummung“ geklagt. Von welcher Seite auch immer. Vielleicht kann man es auch andersherum sehen? Auf allen Gebieten wird geforscht und neues Wissen in die Welt gebracht. Wir können schlicht nicht mehr alles wissen. Eine Binsenweisheit. Der letzte Allgemein- oder Universalgelehrte war Leibniz. Er lebte von 1646 bis 1716. Das ist schon eine Weile her. Danach? Heutzutage? Ja, vielseitig interessierte Menschen mit großem Allgemeinwissen gibt es, aber eben keine Alleskönner.

Warum das Nicht-Wissen exponentiell steigt

Mit dem ansteigenden Wissen einerseits, steigt also auch das Nicht-Wissen andererseits. Auf einem Gebiet wirst Du Spezialist (böse kann man sagen „Fachidiot“) sein, auf vielen, ja Tausenden von Gebieten wirst Du gleichzeitig Nicht-Wissender.

Wenn ich ehrlich bin, komme ich mir da oft richtig dumm vor. Es gibt aber Leute, die sich auch dort auskennen. Wir kommen weiter, wenn wir unser Nicht-Wissen, unsere Dummheit zugeben und fragen. Heute „befragt man oft das Internet“, liest also eigentlich.

Nicht-Wissen und Mut

Es gibt aber auch die Möglichkeit in Austausch mit Anderen zu gehen. Egal ob privat „im Vertrauen“ oder offen. Manche finden das kindlich oder bezeichnen es als naives Verhalten. Auf jeden Fall ist es menschlich und bringt uns in Verbindung. Verbindung, die unsere Zeit dringend braucht. Gleichzeitig damit, dass Nachfragen gegen „Verdummung“ wirkt, hat es noch einen anderen Effekt: Fragende sind offen für Antworten, offen sich ein Stückchen verändern zu lassen. Dazu gehört auch Mut. Vielleicht ist das auch der Grund, dass wir mehr lesen als fragen: dass es uns peinlich ist, das Nichtwissen zuzugeben. Dass wir uns gar nicht mehr trauen zuzugeben, dass wir interessiert sind, aber dennoch nicht wissen, nicht verstehen. Dass wir Angst vor der Reaktion haben.

Das bringt uns zur anderen Seite: Die kann ganz unterschiedlich reagieren: abweisend oder verständnisvoll. Wie reagieren wir, wenn wir gefragt werden? Haben wir die „Nerven“ dafür, die Akzeptanz, die Geduld oder auch die Fähigkeit Sachen so zu erklären, bis unser Gegenüber sie versteht? Können wir uns überhaupt vorstellen, dass die/der Andere etwas schlicht (immer noch) nicht versteht und deshalb sich aus unserer Sicht so merkwürdig gibt?

Noch einmal schwieriger wird es, wenn das, was „verstanden werden soll“, nicht eine Sache ist, sondern es darum geht, uns als Personen gegenseitig zu verstehen. Da sind wir erst recht verletzlich, brauchen Sicherheit. Da ist Feinfühligkeit, vielleicht sogar Empathie gefragt.

Zu beiden Seiten, zum Fragen und zum Antworten, gehört Mut. Diesen doppelten Mut und das Aufeinander-Zugehen wünsche ich uns allen.